April 2021

Der Beginn vom Jahr 2020 war im Nachhinein eine der schlimmsten Zeiten in meinem Leben. Ganze Dörfer in Not, so viele Menschen hungern zu sehen, das war eines der schmerzhaftesten Erlebnisse. Ich bin dankbar, dass wir mit mehr Leichtigkeit ins Jahr 2021 starten durften. In unseren Projektdörfern in Indien haben sich die Menschen an die Situation gewohnt, die Bauern bewirtschaften ihre Felder, die Taglöhner und weitere Berufstätige gehen ihrer Arbeit nach und wer nichts hat, geht auf die Felder und in die Natur, um etwas essbares zu sammeln. Wir tun unser Bestes um die medizinische Versorgung für mittellose Menschen sicherzustellen und sind enorm dankbar für unsere Ambulanz, unsere Jeebani, was so viel wie Leben heisst. Die Ambulanz bringt Menschen in der gesamten Region, also von 16 Dörfern, ins Spital und kümmert sich auch täglich um notwendige medizinische Versorgung bei den Patienten Zuhause, was jedoch sehr selten notwendig ist.

Einige Kinder in und um unsere Projektdörfer mussten dringend einer kompetenten Behandlung unterzogen werden. Dazu war es jedoch notwendig, in die 200 km entfernte Stadt Berhampur zu reisen, wofür wir jeweils etwa 5-6 Stunden benötigen. Durch die Pandemie war es uns jedoch bis zu einem gewissen Zeitpunkt nicht erlaubt dahin zu reisen. In den Städten waren und sind auch heute viel mehr Corona erkrankte Menschen anzutreffen. Als wir dann reisen durften, hatten jedoch die Eltern der Kinder oft Angst zu reisen. Sie wollten ihre Kinder und sich selbst keinem Risiko aussetzen. Diese Situation war für mich sehr schwierig auszuhalten. Zu wissen, dass Kinder sterben können, weil sie eine lebensnotwendige Operation benötigen und nicht bekommen. In dieser Situation abzuwarten und Geduld zu haben, war sehr schwierig für mich. Unser Team ist immer bereit zu reisen und sie versuchten auch die Familien davon zu überzeugen, dass die Behandlung nun Vorrang hat. Jedoch in dieser Zeit ohne Erfolg. Wenn die Kinder behindert sind, ist es auch unter normalen Umständen schwierig die Eltern von der Wichtigkeit von Behandlungen und Operationen zu überzeugen und in der aktuellen Situation ist dies noch viel herausfordernder. Meist sind die Operationen notwendig, um den Kindern Schmerzen zu nehmen und eventuell auch das Leben etwas zu verlängern. Anfangs November verstarb Subalaxmi, ein schwerkrankes Mädchen, welches eine lebensnotwendige Operation benötigte. Die Vermutung ist gross, dass sie unter starken Schmerzen litt und so verstarb. Dies sind die traurigen Momente in unserem Alltag hier…

…zum Glück gibt es immer wieder sehr positive Momente in denen wir dankend aufatmen dürfen. Nicht nur Subalaxmi benötigte eine Operation, auch Bibek, Saini, Nilabati, Mousumi, Karina und das Baby, das noch keinen Namen hat, ebenso. All diese Kinder konnten Anfangs dieses Jahres in Berhampur behandelt und operiert werden. Alle Kinder benötigen medizinische Behandlung über einen längeren Zeitraum und werden durch Hope is life nicht nur finanziell begleitet, sondern ebenso durch Motivations-Gespräche und Aufklärungsarbeit. Saini, Mousumi und Bibek werden weitere Operationen benötigen.

Bibek wurde von mehr als zwei Jahren von seiner Mutter zu uns gebracht. Mutter und Vater gingen mit dem Kleinen in ein Spital für behinderte Kinder, in welchem sie lernten dem Kleinen Essen zu geben und ihn zu fördern. Bei unseren regelmässigen Besuchen war der Kleine in einem guten Zustand. Doch dann wurde Bibeks Mutter erneut schwanger und der Vater und seine Eltern entschieden, dass Bibek aufgrund der neuen Situation nicht mehr am Leben bleiben sollte. Nach Wochen rief uns Bibeks Mutter an und wollte Hilfe. Sie war total überfordert, da die Familie nicht wollte, dass sie dem Jungen Nahrung gibt. Der Kleine war schon bis auf die Knochen abgemagert, energielos und schwach. Nach zwei weiteren Spitalbesuchen, bei welchen Bibek durch eine Sonde ernährt wurde, und mehreren intensiven Gesprächen, entschied sich die Familie Bibek, anstatt ihn verhungern zu lassen, zur Adoption frei zu geben.

Bibek wie wir ihn vorgefunden haben – jetzt kann er wieder lachen

Die Mutter war enorm erleichtert. Sie konnte dem Kleinen nicht gerecht werden, aber wollte natürlich, dass ihr kleiner Sohn leben darf. Und zwar an einem Ort, an welchem gut für ihn gesorgt wird. Nun ist Bibek bei zwei Kinderärzten Dr. Mary und Dr. Cat aus England, die in Berhampur leben und schon einige unserer Kinder bei sich aufgenommen haben – teils auch zusammen mit den Eltern. Bei Mary und Cat wir er mit viel Liebe und Fachkenntnissen umsorgt. Er ist stärker und kräftiger geworden, hat lachen gelernt und gibt Baby-Babbel-Töne von sich. Dies war vorher undenklich. Der Kleine hat grosse Fortschritte gemacht und es ist schön ihn so zu sehen.

Nun habe ich schon wieder so viel erzählt und bin noch lange nicht am Ende angekommen (-:

Wie viele von Euch wahrscheinlich schon gelesen haben, sind all unsere Kids Care in Indien und Nepal wieder geöffnet. Dies ist eine enorme Erleichterung für uns alle. Denn die Kinder hatten seit mehr als einem Jahr keine Schule mehr und nach Aussagen des Staates werden sie dieses Jahr auch nicht mehr geöffnet. Nach erfolgreicher Suche von Gottis und Göttis durften wir nun in unser Theler Kids Care mit 65 Kindern, noch weitere 35 Kinder integrieren, um bei uns zu lernen und mit Essen versorgt zu werden.

Während ich diesen Newsletter bearbeitete, erhielt ich die Nachricht, dass in Orissa, wegen den hohen Zahlen von Menschen mit Corona-Virus-Infektionen, ab dem 30. April auf unbestimmte Zeit ein neuer Lockdown beginnen wird. Auch in weiteren Staaten in Indien werden demnächst erneut Lockdowns starten. Auch von Nepal erhielt ich dieselbe Nachricht. Natürlich war ich als erstes sehr besorgt.

Nun, einen Tag später, bin ich schon wieder etwas zuversichtlicher. Meetings mit meinen beiden Teams haben mir gezeigt, dass wir dieses Mal besser vorbereitet sind. Wir wissen, wie wir auf den Lockdown reagieren werden. Unsere Lehrer in den Kids Cares bereiten die Kinder auf Homeschooling vor, wo sie auch ihr Essen erhalten werden. Wir haben ein Team gegründet, dass unsere Kids Care Kinder, wie auch die Kinder von unseren Gottis und Göttis, regelmässig besuchen werden, die Gesundheit kontrollieren, wie auch Gewicht und psychische Verfassung. So dass wir Erkrankungen oder problematische Situationen Zuhause früh genug erkennen und dafür die notwendige Unterstützung geben können.

Das Krankenwagen-Team wird erneut in Gewaltfreier Kommunikation unterrichtet, um Ängste und Frustrationen bei den Dorfbewohnern auffangen zu können.

Das Krankenwagen-Team bei der Weiterbildung

Für unser Hausbau-Projekt versuchen wir, vor dem Lockdown genügend Baumaterial zu organisieren, so dass wir weitere Häuser für Familien in kaputten Lehmhäusern bauen können. Auch können wir damit einige Arbeitsplätze sichern.

Wieder wurde ein Haus fertig gestellt

Wir alle hoffen, dass auch die Dorfbewohner um unsere Projektdörfer besser vorbereitet sind, so dass alle während des Lockdowns genügend Nahrungsmittel haben. Ansonsten müssen wir vielleicht wieder erneut Nahrungsmittel an die Dörfer in unserer Umgebung verteilen.

Ich werde Euch alle auf dem Laufenden halten, wie es bei uns weitergeht.

Einen warmen und sonnigen Gruss aus Indien

Andrea