Juli 2015
Seit einigen Wochen bin ich wieder in der aktuell kalten Schweiz und hoffe auf Sonne und warmes Wetter (-: Nun war ich wieder ein halbes Jahr unterwegs. Habe an unseren Projekten in Indien gearbeitet, war in Sri Lanka und nach dem Erdbeben in Nepal, auch da vor Ort. Nun, da ich die letzten Newsletters über meine Arbeit in Indien informiert habe, werde ich mich in diesem Newsletter, von meinen Erfahrungen in und um Kathmandu, Nepal erzählen.
Die Erinnerungen an die Zeit in Nepal sind mir noch ganz klar vor Augen…
…Über drei Wochen habe ich vor Ort mit dem Team der Hilfsorganisation Homenet Nepal (www.homenetnepal.org) und Daya Lakshmi zertifizierte Play for Peace Trainerin aus Indien zusammengearbeitet. Wie im letzten Newsletter beschrieben, habe ich mich intensiv mit dem Aufenthalt auseinander gesetzt und mich, so gut es mir möglich war, darauf vorbereitet. Was jedoch wirklich auf mich zukommt, wenn ich Nachbeben bis zur Stärke 5,5 miterlebe und täglich mit den traurigen Tatsachen von Verlusten und Verwüstung konfrontiert sein werde, wusste ich nicht. Zwar habe ich einzelne Vorerfahrungen mit der Arbeit in Katastrophengebieten, die Anspannung und Unsicherheit war jedoch trotzdem sehr gross. Schon bei der Ankunft am Flughafen in Kathmandu wurden wir vom ersten Nachbeben überrascht. Ich war jedoch so auf meinen Visum-Antrag konzentriert, dass ich das Beben nicht mal richtig wahrgenommen habe. Am Flughafen wurden wir, Daya, die mit demselben Flieger ankam und ich, von Samjhana Sharma, Bordmember von Homnet, herzlich begrüsst. Gleich ging die Fahrt in ihr Zuhause, wo wir die nächsten drei Wochen zu wohnen geplant hatten. Misstrauisch beäugte ich die Mauern des Appartements. Samjhana beobachtete mich und versicherte mir, dass das Haus von der Regierung als Erbebensicher eingestuft wurde. Gleichzeitig ergänzte sie traurig:„Doch mit diesen ganzen Nachbeben werden ebenso gute Häuser, sowie gute Fundamente unstabil, denke ich zumindest. Ich weiss also nicht, was sicher ist und was nicht“. Nachdenklich, jedoch dankbar um ihre Ehrlichkeit, machten wir uns auf den Weg ins Büro von Homenet. Auf dem Weg dahin, richtete ich den Fokus das erste Mal seit ich hier war auf die Aussenwelt. Was ich sah, stimmte mich traurig und zeigte mir gleichzeitig auf, warum ich hier war. Kathmandu wirkte an manchen Ecken wie eine Zeltstadt, wo sich ein grüner Fleck befand, stand ein Zelt oder meistens ein selbst erstelltes Zeltdach aus einfachen Blachen in grauer, oranger oder blauer Farbe. Die ganze Szene wirkte unrealistisch, die Menschen in den Zelten waren aus verschiedenen Schichten. Ersichtlich war dies an ihrer Kleidung, so wie den Materialien die sie in ihren Unterkünften dabei hatten. Einige hatten nichts, wiederum waren da Fernseher, Sofa, Betten…, ganze Wohnungseinrichtungen. Die daneben liegenden Einkaufsstrassen mit den Designerläden wirkten skurril. Geschäftig wirkende Menschen gingen daran vorbei, andere wiederum nahmen sich Zeit die Auslagen in den Schaufenstern zu bestaunen und ihren Einkaufsbummel zu geniessen. Das Leben ging weiter, Leid und Freude begegneten sich im Alltag auf eine ungewohnte Weise. In einigen Stadtteilen, schien kein einziges Haus beschädigt, was an manchen Orten auch der Wahrheit entsprach. Als ich jedoch schon dachte, dass ganz viele Häuser verschont geblieben seien, wurde ich des besseren belehrt. Viele Häuser hatten stabile Grundmauern, die äusserlich sicher erschienen. Jedoch die Wände und Decken im Innenbereich waren unstabil und deshalb eingestürzt. Die Menschen konnten die Häuser in diesem Zustand nicht mehr bewohnen.
Die Fahrt ging weiter und es kam mir vor, als sei ich zuvor verschont geblieben und werde nun langsam auf den Anblick vorbereitet, der sich in meinem Gedächtnis verankern wird. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich geglaubt, ich befände mich in einem Kriegsgebiet. Die Gegend die sich meinem Auge offenbarte, war vom Erdbeben vollkommen zerstört. Kein einziges Haus wurde verschont. Menschen sassen neben dem Haufen Bachsteinen, der zuvor das Zuhause ihrer Familie war. Einige schienen ihr Schicksal wortlos hinzunehmen und gingen irgendeiner Tätigkeit nach, die ebenso eine gewisse Normalität bedeutete. Dann wieder sah ich Menschen, die einfach da sassen, in die Weite blickend, ihre Augen schienen leer. Nach den ersten intensiven Eindrücken, hielt unser Auto in einer Gasse, in der sich das Gebäude mit dem Büro von Homenet befindet.
Und wieder wurden wir herzlich in Empfang genommen und gleich einigen Mitarbeitern vorgestellt. Mr. Om Thapaliya, der Geschäftsführer von Homenet, bat um ein erstes Meeting, in welchem er sich als unser viertes Teammitglied vorstellte. Das Hauptteam bestand nun aus vier Personen: Mr. Om Thapaliya, Daya Lakshmi , Samjhana Sharma und mir. Die Sitzung war vielversprechend, strukturiert und gab Grund zur Hoffnung, dass wir in diesen 3 Wochen einiges erreichen könnten.
Als erstes bat Om eine Weiterbildung für sein gesamtes Personal durchzuführen. Sie sollten einige der Spiele erlernen, die Daya anhand von Play for Peace mit den Kindern in den Dörfern durchführen wollte. Meine Aufgabe war es, als gelernte Traumaberaterin, die Grundkenntnisse einer Traumatisierung weiterzugeben. Weiter wollten die Mitarbeiter den, auf die aktuelle Situation abgestimmte „Wheel of empathy“ kennenlernen. In Orissa, Indien führen Frauen diese Übung regelmässig gemeinsam durch, um ihr Selbstvertrauen zu stärken und die eigenen Grundbedürfnisse und die des gesamten Dorfes wahrzunehmen. Für Nepal habe ich diese Übung angepasst, so dass die Frauen und einzelne Männer, gemeinsam das traumatische Erlebnis des Erdbebens verarbeiten können.
Es stellte sich schnell heraus, dass das gesamte Team von Homenet selbst noch mit den eigenen Erlebnissen und Erfahrungen des Erdbebens und den immer wieder auftretenden Nachbeben zu kämpfen hatte. Die Stunden der Weiterbildungen passten wir somit an diese Erkenntnis an und gaben dem Team die Möglichkeit die eigenen Unsicherheiten und Ängste anzusprechen. Ich war sehr berührt über die Tatsache, dass sich das Team, kurz nach dem ersten grossen Erdbeben unermüdlich für die Betroffenen einsetzte, obwohl ihnen selbst die Angst noch in den Knochen sass.
Am Tag darauf begannen wir mit den Besuchen in den Projektgegenden, um ausfindig zu machen welche Dinge am dringendsten benötigt wurden. Eine schöne Erkenntnis war, dass das Trinkwasser in jeder Gegend ausreichend zur Verfügung stand. Es fehlte jedoch an vielen anderen Dingen. Wir entschieden, uns auf die Kinder, Babys, Mütter und Frauen zu konzentrieren, beachteten jedoch auch Familien, die keine finanzielle Möglichkeiten hatten, um sich das Notwendigste zu besorgen.
In diesen drei Wochen arbeiteten wir ununterbrochen. Erst kümmerten wir uns um den Einkauf der fehlenden Materialien in den Dörfern. Dann reisten wir erneut in die Gebiete und verteilten Ergänzungsnahrung für Babys, stillende Mütter und schwangere Frauen, händigten warme Decken, Moskitonetze und Matten aus. Dann startete Daya mit Play for peace für die Kinder und ich mit der Trauma-Bewältigung.
Das Dorf Pharping, haben wir ebenso als Projektort ausgewählt. Dieses Dorf liegt etwas höher in den Bergen als die Anderen der ausgewählten Dörfer. Hier sahen wir noch eine weitere Problematik.
Das Wetter war sehr rau, mit viel Regen und Wind. Viele Menschen haben ihre Häuser verloren. Einige konnten sich ein sicheres, temporäres Zuhause bauen. Doch einige der Familien waren ohne finanzielle Möglichkeiten und mussten sich irgendwie mit einzelnen, unstabilen Plastikblachen, die sie von der Regierung erhalten hatten, aushelfen. Das Leben in einem solchen Zuhause ist hart und bringt viele Probleme. Hustend und zitternd hockten einzelne Familien unter ihren Blachen, die Kleider nass vom Regen, wartend auf eine bessere Zukunft, die voraussichtlich nicht eintreten wird. Uns war klar, dass wir hier unsere Unterstützung anbieten möchten. Mit einem Team eines anderen Dorfes, erstellten wir 9 wetterfeste, temporäre Behausungen für diese Familien.
In dieser Zeit durfte ich bei der Familie Ghatani wohnen. Die Familie lebt, wie viele der Bewohner, in einer temporären Unterkunft aus Bambus, Blachen und Wellblech. Ich war enorm dankbar, konnte ich doch das erste Mal so richtig entspannt schlafen, da ich im temporären Haus keine Angst vor grösseren Nachbeben haben musste. Zwar spürte ich die Beben in dieser Behausung intensiver, jedoch war der Gedanke entlastend, dass der Bambus und das Wellblech, auch bei einem allfälligen Einstürzen der Hütte, mich nicht wirklich verletzen konnten. Durch das Zusammenleben mit der Familie Ghatani kam ich den Problematiken und Ängsten vor dem Alltag und der Zukunft nochmals ein Stück näher. Der abendliche Austausch in der Hütte ermöglichte mir ebenso einen tieferen Einblick in die Kultur und das Leben in Nepal. Dieses Wissen, konnte ich in die Gruppensitzungen für die Trauma-Bewältigung mit einbeziehen und wird für mich ebenso in Zukunft sehr hilfreich sein.
In der Zeit, welche ich in Pharping hauste, besuchte ich ein weiteres Bergdorf. Die Regierung bat Homenet in diesem Dorf ein Projekt zu beginnen. Homenet wiederum fragte Hope is life an, etwas für dieses Dorf zu tun. Als ich nach einem längeren Fussmarsch die Bewohner des Dorfes antraf, wusste ich, dass ich hier genau richtig bin. Der erste Eindruck täuschte nicht…die Kinder in diesem Dorf sind emotional und physisch verwahrlost und der grösste Teil der Eltern steckt in einer tiefen und langjährigen Alkoholsucht. Wie der Staat Orissa, erinnert mich dieser Ort an einen vergessenen Ort, in welchem Menschen ihrem Schicksal überlassen werden, hier vor allem die Kinder. Im Leitbild von Hope is life sprechen wir darüber, dass wir uns für Menschen stark machen möchten, die sich nicht selbst helfen können, die misshandelt und ausgebeutet werden, ohne dass sich jemand dafür interessiert…also ist Hope is life hier genau auf den richtigen Ort gestossen.
Nach über drei Wochen, nahm das Projekt ein Ende. Müde durch die Arbeit und die vielen Eindrücke, jedoch ebenso zufrieden, trafen wir zum letzten Mal vor unserer Abreise, das Homenet Team im Büro der Organisation. Die letzte Sitzung wurde abgehalten, Feedbacks ausgetauscht und am Ende wurde ersichtlich, dass wir einiges mehr erreicht haben, als in den drei Wochen geplant war. Ebenso haben wir unsere Zukunftspläne ausgetauscht und es wurde schnell klar, dass Homenet und Hope is life auch in Zukunft zusammenarbeiten werden.
Samjhana wird die Gruppensitzungen zur Trauma-Bewältigung weiterführen, da dies von den Dorfbewohnern mir Nachdruck gewünscht wurde. Ebenso sehen wir in diesen Dörfern die Möglichkeit, uns gegen die Gewalt an Frauen einzusetzen. Auch im besichtigten Dorf, mit den verwahrlosten Kindern und alkoholkranken Eltern, wird sich Hope is life erst für die Kinder einsetzen und dann für deren Eltern ein passendes Projekt beginnen.
Die Sitzung endete und die Verabschiedung war noch herzlicher als der Empfang vor drei Wochen. Tags darauf machte ich mich auf den Weg zurück nach Indien, um für meine Arbeit in Orissa weitere Meetings wahrzunehmen. Nur wenige Tage später sass ich bereits wieder in einem Flugzeug, das mich in die Schweiz zurück brachte. Hier in der Schweiz widme ich mich weiterhin meinen Aufgaben für Hope is life und arbeite im Spital um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ende September werde ich dann für 4 Wochen nach Nepal zurückkehren und mich danach wieder den Projekten in Indien widmen.
Herzliche Grüsse
Andrea