November 2015

Meine Reisen werden zu einer Art Routine und wieder einmal sitze ich auf dem Dach des Colleges Karuna Shanti in Orissa. Ich bin vor zwei Tagen hier angereist, wurde voller Freude empfangen und durfte die neuen Studenten kennenlernen. Die Mitarbeiter erzählten mir die neusten Ereignisse der letzten Monate meiner Abwesenheit. Gestern wurde hier das Lichterfest Diwali gefeiert, mit Kerzen, Ansprachen, lauter Musik, viel Lärm und einem sehr leckeren Essen. Meist herrscht hier viel Chaos was die Organisation anbelangt, dennoch ist mein heutiges Ziel, für Anfangs Dezember GFK-Workshops mit den neuen Studenten zu planen…

…Ich bin hoffnungsvoll, dass ich bis am Ende des Tages, Klarheit über Daten, Zeit und gewünschte Themen des Workshops kriege (-:

Nun lasse ich meine Gedanken ein paar Monate zurückschweifen. Ich erinnere mich gerne an die Veranstaltung „indisches Essen für eine gute Sache“, die in Winterthur stattgefunden hat. Es war ein schöner und erfolgreicher Abend. Über 120 interessierte Menschen nahmen daran teil. Auch wenn wir von ein paar organisatorischen Herausforderungen überrascht wurden, verlief der Abend nach unseren Vorstellungen. Ich möchte mich stellvertretend für unser gesamtes Team nochmals ganz herzlich für eure Teilnehme bedanken, physisch und ebenso gedanklich (-: Herzlichen Dank!

Nur einige Tage nach der erwähnten Veranstaltung, sass ich auch schon wieder im Flieger nach Kathmandu (Nepal). Dieses Mal mit einer gewissen Sicherheit, da ich Kathmandu und die Dörfer ausserhalb bereits kennengelernt habe und weiss, wie sich die immer noch wiederholenden Nachbeben, sowie die neuen Erbeben anfühlen. Jedoch hat sich in Nepal eine neue Kriese angebahnt, die ich nicht einschätzen konnte. Politische Auseinandersetzungen führten dazu, dass sich in einigen Gebieten Nepals verschiedene politisch orientierte Gruppen bekämpfen und Indien hat sich dazu entschieden, die Grenze zu Nepal für alle Lieferungen von Gütern zu schliessen. Das klingt nicht weiter schlimm, jedoch erlebte ich die traurigen Ausmasse dieser Schliessung vor Ort. Damals wusste ich nicht, wie abhängig Nepal von Indien ist.

Erst wurde mir klar, was es für ein Land bedeutet, wenn kein Benzin mehr vorhanden ist. Keine Taxis waren vorhanden, die öffentlichen Verkehrsmittel, welche wir auch in unserem ersten Einsatz nutzten, fuhren selten und waren total überfüllt. Dies ermöglichte mir eine Reise auf dem Dach eines Buses. Wenn ich sage, der Bus war überfüllt, dann sagt das nicht aus, dass keine Sitzplätze mehr vorhanden sind, sondern dass jeder nur erdenkliche Raum in einem Bus voll besetzt ist mit Menschen. Kein Platz bedeutet, keine Möglichkeit einen Menschen, auch nicht mit Schwung, da rein zu bringen. Das Reisen in Busen im Stehen wurde zur Routine, was ich jedoch dankend als eine Art körperliche Betätigung entgegennahm. Soweit so gut. Dieses Problem gestaltete sich vor allem zeitlich als Herausforderung. Wir mussten für unsere Reisen genügend Zeit und somit weniger Aktivitäten an einem Tag einplanen. Mit den Tagen jedoch wurde mir die traurige Tatsache bewusst, dass die Nepalesen nicht nur das Benzin von Indien geliefert bekommen. Somit fehlte es an allem! Kein Gas zum Kochen wurde geliefert, Essen fehlte, Medikamente wurden zu Mangelware, Wasser konnte nicht mehr aus den Brunnen gepumpt werden, Stoffe wurden teurer und niemand wollte mehr ein Kleid kaufen…Und es ist einfach zu erraten, wer unter diesen Umständen am meisten leidete:

die mittellose Bevölkerung. Jobs wurden gestrichen, Teeverkäufer konnten ihrer Tätigkeit nicht mehr nachgehen, den Schneidern gingen Arbeit und Stoffe aus…Ich erzähle diese Wort in der Vergangenheit, weil mir vor Ort die Dinge vor Augen geführt wurden. Die traurige Wahrheit ist jedoch, dass dieser Zustand noch heute andauert und die Menschen leiden. Nicht weniger sondern von Tag zu Tag wird die Absenz der wichtigsten Güter aus Indien zum Leiden vieler nepalesischer Familien. Und ich hoffe von ganzem Herzen, dass dieser Zustand ein baldiges Ende nehmen wird.

Trotz allem konnten wir an unseren Projekten arbeiten und ich möchte euch davon erzählen. Mit Samjhana Sharma arbeitete ich 2013 zusammen bei der indischen Organisation SFDC in Orissa. Wir lernten uns nicht nur persönlich, sondern auch unsere Arbeitsweisen kennen. Nach den schweren Erdbeben im April 2015  (siehe Erfahrungsbericht 31.07.2015) arbeitete ich aufgrund einer Anfrage von Samjhana und Homenet Nepal für die Opfer der Erdbeben-Katastrophe. Unsere gemeinsame Arbeit war motivierend und erfolgreich. Aus diesem Grund, fragte mich Samjhana an, langfristige Projekte in Nepal zu beginnen. Durch Gespräche und Austausch mit dem Hope is life – Team wurde uns klar, dass dies für Hope is life eine sinnvolle Möglichkeit ist, sich zusätzlich zu engagieren.

Nun reiste ich erneut nach Nepal, um die Zusammenarbeit zu beginnen. Unser Fokus, richteten wir auf das Frauenprojekt und das Projekt „Ghole Tole“. Das Ziel des Projektes „Ghole Tole“ ist, im Dorf Ghole Tole, den hier lebenden Kindern, Schutz und Betreuung zu bieten. Im genannten Dorf leben ca. 70 Kinder. Viele dieser Kinder haben alkoholabhängige Eltern. Die Eltern sind nicht im Stande ihre Kinder zu versorgen. Somit verwahrlosen die Kids zunehmend und beginnen ebenfalls im Alter von ca. 10 Jahren mit dem Konsum von Alkohol. Mit einem Betreuungs-Centers möchte Hope is life dieser Entwicklung entgegen wirken. Die Kinder haben somit eine Anlaufsstelle, können spielen, lernen, malen, basteln, sich austauschen…Auch werden die Kids im Center mit Essen versorgt, da auch diese Aufgabe von den Eltern nicht wahrgenommen wird. Sobald der Schutz und die Betreuung der Kinder gewährleistet ist, wird sich Hope is life mit den Eltern zusammen setzen und auf eine Veränderung der aktuellen Situation hinarbeiten.

Nach wenigen Tagen vor Ort beschlossen Samjhana und Hope is life, unser neues Projekt „GholeTole“, nicht in Kooperation mit der einheimischen Organisation Homenet Nepal zu starten, sondern eine eigene Organisation zu gründen mit dem Namen: Hope is life Nepal. Homenet Nepal hat sich nach meiner Ankunft in Nepal klar geäussert, dass sie liebend gerne mit Hope is life zusammenarbeiten möchten, doch die gesamten Finanzen über die Organisation Homenet laufen würden. Dies würde für Hope is life bedeuten, dass Spendengelder für das Projekt genutzt werden, jedoch keine klare Transparenz vorhanden wäre. Diese Vorgehensweise ist nicht im Sinn von Hope is life. Aus diesem Grund entschieden wir uns, eine neue Organisation zu gründen, um so die Projekte direkt durchführen zu können. Samjhana’s jahrelange Erfahrung in Menschenrechts- und Entwicklungshilfe, so wie ihre zahllosen Kontakte auf diesem Gebiet vereinfachten uns den Start der neuen Tochterorganisation von Hope is life. Weitere Aufmerksamkeit schenkten wir dem im Frühling gestarteten Projekt, der Unterstützung der vier Dörfer nach dem Erdbeben, dem Frauenprojekt und „Ghole Tole».

Wir besuchten die einzelnen Dörfer und überprüften die aktuelle Lage, sowie die Lebenssituation der Frauen und ihrern Familien. Das Interesse, weiterhin mit uns zusammen zu arbeiten, war meistens nicht sehr gross, was nichts Schlechtes bedeutet. Die Frauen wirken stärker, sicherer und gesünder als in den Monaten zuvor. Die Gruppengespräche waren für die Frauen unterstützend und kraftspendend. Nach einem Check durch Fragen wurde uns klar, dass sich die meisten vom Schrecken der Beben gut erholt haben und keine weitere Unterstützung in diesem Bereich benötigen. Ausser das kleinste Dorf unserer Projektdörfer mit ca. 20 Familien…Langsam hab ich ein gutes Gespür für Dörfer, die Unterstützung benötigen, sei es aus Armut oder weil die Gewalt im Dorf sehr gross ist. Das Ausmass der Zerstörung, welches die Erbeben in diesem Dorf verursacht haben, ist erschreckend. Die Häuser sind nicht „nur“ eingestürzt, wie in vielen anderen Gebieten, sondern sozusagen dem Erdboden gleichgemacht. Die Dächer und Wände verwandelten sich in Schutt und Staub, der alles Hab und Gut der Familien zerstörte und unter sich vergrub. Sie hatten schon davor fast nichts und nun noch weniger, da es ihnen unmöglich war, ihre Habseligkeiten zu retten. Es war das einzige Dorf, in welchem bei unserer Ankunft die Frauen, Kinder und auch ein paar Männer zahlreich erschienen. Sie fragten uns an, sie zu unterstützen und ihnen weiterhin beiseite zu stehen. Sie nannten das Erbeben das kleinere Unglück, das nun von der grösseren Katastrophe, der Schliessung der Grenzen zu Indien, abgelöst wurde. Erst waren wir unsicher wie weit es uns möglich ist, diese Menschen zu unterstützen, da wir unsere Kooperation mit Homenet auflösten und dieses Dorf zu ihrem Projektgebiet gehört. Jedoch wuchs unser Interesse, diese Dorfbewohner in Form unseres Frauenprojektes, beizustehen. Kurzum, setzten wir uns mit Homenet zusammen und nach einigen Diskussionen war Om der Chef von Homenet davon überzeugt, dass dieses Dorf unsere Hilfe benötigt. Zufrieden über diesen erzielten Erfolg reisten wir ins genannte Dorf, um erneut das Gespräch zu suchen und mit den Frauen des Dorfes einen konkreten Plan zu entwickeln.

Auch im Projekt „GholeTole“ blieben wir nicht untätig. Durch unsere Besuche vor Ort, konnten wir das Vertrauen der Dorfbewohner gewinnen. Sehr berührt hat mich die Tatsache, dass auch betrunkene Eltern an diesen Sitzungen teilnahmen. Ich war erstaunt und ebenso berührt, wie sich auch diese Eltern an den Diskussionen ernsthaft beteiligten. Es wurde zum Beispiel von einem betrunkenen Vater erwähnt, dass er das geplante Betreuungs-Center für die Kinder nicht in der Gegend des Shops möchte in welchem er und die anderen Eltern trinken. Er wünscht sich, dass die Kinder eine Distanz dazu kriegen, um ihr zukünftiges Leben positiver gestalten zu können. Nach meiner jahrelangen Arbeit im Suchtbereich ist mir wohl bewusst, dass süchtige Menschen genauso feinfühlig und intelligent sein können wie alle anderen. Doch bin ich immer wieder fasziniert wie klar sie sich ihre eigene Situation vor Augen führen können und wie sie sich über ihre eigenes Leben äussern, wenn sie danach gefragt werden. Speziell diese Situation weckte in mir Respekt und Dankbarkeit, denn am Ende geht es vorerst nicht um die Eltern, sondern um den Schutz ihrer Kinder. Doch ohne die Hilfe der Eltern sind wir fast machtlos, etwas zu unternehmen. Langer Rede kurzer Sinn, die Eltern begrüssen unser Projekt weiterhin, sind bereit uns ebenso zu unterstützen und zeigen ihre Dankbarkeit. Nach einigen Gesprächen im Dorf und beidseits entstandener Hoffnung, zogen dunkle Wolken an den „GholeTole“ Himmel. Die Regierungsbeamten der Region wollten uns unsere Arbeit im Dorf verbieten. Die Gründe dafür waren unverständlich und die Aufruhr darüber gross. Unter anderem hiess es, dass die Regierung die Arbeit mit Kindern verbietet und keine Ausnahmen gemacht werden. Samjhana und ich sassen am Abend nach diesen frustrierenden Neuigkeiten zusammen und schmiedeten erst noch hoffnungslos Pläne.

Es benötigte einige Zeit bis unsere Stimmung von hoffnungslos zu hoffnungsvoll wechselte. Noch am selben Abend, entschieden wir uns voller Mut, uns nicht kleinkriegen zu lassen, egal was passiert. Wir wollten dafür kämpfen, dass unsere nun gemeinsame Visionen, der Dorfbewohner und Hope is life, nicht zu nichte gemacht werden können. Unser Kampf hat einen vollen Tag gedauert (((-: Durch nützliche Kontakte von Samjhana, wurden wir einen Tag darauf für ein Gespräch ins staatliche Sozialamt eingeladen. Wir sprachen mit Bhakta, dem Verantwortlichen für die Bewilligung von Hilfs- und Entwicklungsprojekten in unserem Projektgebiet. Wir stellten ihm unser Projekt vor und baten ihn um seine Unterstützung. Ich vermute mal, da wir mit einem guten Bekannten von Samjhana, einem ehemaligen Minister auftauchten, wurde uns die Bewilligung kurzerhand mündlich zugesprochen. Das Verbot mit Kindern zu arbeiten, hatte für uns ab sofort keine Gültigkeit mehr. Bhakta leitete uns alle seine Kontaktdaten weiter, so dass wir ihn erreichen könnten, falls irgendwelche Schwierigkeiten auftreten würden im Prozess der Beantragung der Bewilligung für das Projekt „GholeTole“. Samjhana und ich waren überglücklich den Kampf vorerst gewonnen zu haben, auch wenn uns bewusst ist, dass der Weg zur Bewilligung noch einige Hürden beinhalten wird. Doch nun haben wir vorerst mal freie Hand an unseren Projekten weiter zu arbeiten und dies ohne dass ein einziger Rupi Bestechungsgeld floss, was ich doch immer gerne mal wieder erwähne (-:

Samjhana feierte mit ihrer Familie erst das Fest der Lichter „Diwali“ und führte danach unsere Arbeit vor Ort fort. Ich möchte dazu erwähnen, dass sie die ganze Arbeit für Hope is life in freiwilliger Arbeit verrichtet.

Ich selbst habe nach erfolgreichen Wochen in Nepal, meine Reise nach Indien angetreten und widme mich erneut den neuen und interessanten Herausforderungen mit Hope is life India.

Liebe Grüsse aus dem Land der Gegensätze, das ebenso incredible India (unglaubliches Indien) genannt wird…

Andrea