Januar 2017
Und schon wieder bin ich in einem anderen Land angekommen. Dieses Mal in Sri Lanka.
Mitte März letzten Jahres wurde der westliche Teil von Sri Lanka von Überschwemmungen heimgesucht. Hope is life hat sich gleich nach der Katastrophe für die Flutopfer eingesetzt. Momentan ist meine erste Aufgabe hier in Sri Lanka, weitere Bedürfnisse der Betroffenen zu ermitteln, um zusätzliche Unterstützung zu leisten.
Nun möchte ich in Gedanken die Zeit etwas zurück drehen, um über die letzten Wochen in Nepal zu berichten. Im letzten Newsletter berichtete ich über das Medical Camp, das wir im Kids Care durchgeführt haben. Nach diesem Event ging die Arbeit erst richtig los. Erst hatten verschiedene Sitzungen Priorität, um Probleme im Kids Care anzugehen und Lösungen dafür zu suchen. Dann waren zwei Tage Intensiv-Workshop der Gewaltfreien Kommunikation an der Reihe. Das ganze Team hat grosse Fortschritte vorzuzeigen, was die gewaltfreie Erziehungsmethode anbelangt. Das Team hat es geschafft, die Einstellung, dass das Schlagen der Kinder ein Muss ist, komplett zu verbannen. Seit dem Anfang wurden die Kinder im Kids Care ohne Schläge betreut, das Team war jedoch skeptisch über den Verlauf der gewaltfreien Betreuung. Nun sind alle davon überzeugt, dass sie so arbeiten möchten und dies die richtige Richtung ist. Eine unserer Mütter im Betreuungsteam berichtete, dass sie ebenso in ihrer Familie die Kinder nicht mehr schlägt, seit sie einen anderen Umgang im Kids Care gelernt hat.
Dann… endlich durften wir im Kids Care das tägliche Abendessen mit den Kids einführen. Dank vieler Sponsoren ist es uns jetzt möglich, den Kindern auch im Bereich der ausgewogenen Ernährung Unterstützung zu bieten. Kurzerhand engagierten wir eine Köchin, die jedoch schon am nächsten Tag nicht mehr zur Arbeit erschien. Und so starteten wir unsere ersten Kochversuche mit dem vorhandenen Team.
In den ersten Tagen waren alle gestresst, was sich ebenso auf die Kinder auswirkte.
Zum Glück kamen uns Irene, Robert und Darla, die Tochter von Irene, aus der Schweiz zu Hilfe (-:
Zwei Wochen arbeiteten wir intensiv an neuen Strukturen, am Konzept der Kinderbetreuung, Einführung von neuen Spielen und Spielangeboten. Morgens lernten wir von Irene anhand des Montessori Models den Tagesablauf neu zu strukturieren. Am Nachmittag öffneten wir wie üblich das Kids Care und die gelernte Theorie wurde sofort in die Tat umgesetzt. Nach dem ersten Workshop gab Irene bei der Kinderbetreuung Unterstützung, Robert und ich in der Küche und Darla spielte mit den Kids. Wir involvierten beim Kochen auch einige Kinder, die richtigen Spass hatten uns zu unterstützen. Somit konnten wir aufzeigen, dass das Kochen für all die Kinder einfach zu meistern ist.
Statt einer Köchin, engagierten wir dann eine zusätzliche Betreuungskraft, so dass das Team abwechslungsweise die Aufgabe des Kochens übernehmen kann und trotzdem noch genügend Personal für die Betreuung der Kinder vorhanden ist.
Wie Tag und Nacht veränderte sich die gesamte Stimmung im Kids Care. Mit der klaren Aufgabenteilung war plötzlich niemand mehr gestresst und die Kinder waren ruhig und zufrieden. Allgemein ist mir bei meiner Rückkehr aufgefallen, dass sich die meisten der Kinder verändert haben. Das Lachen wirkte lauter, die Gesichter fröhlicher und das Vertrauen war gewachsen. Es war klar ersichtlich, die Kinder fühlen sich hier Zuhause. Die täglichen Stunden die sie im und um das Kids Care verbringen, gehören jetzt zu ihrem Alltag und sind selbstverständlich geworden. Die Kinder verlassen sich täglich darauf, dass sie im Kids Care herzlich begrüsst werden, ihnen jemanden zuhört wenn sie was erzählen möchten, dass sie ihre Hausaufgaben erledigen können, spielen und gemeinsam das Abendessen geniessen.
An dieser Stelle möchte ich mich nochmals bei Irene, Robert und Darla für Ihren kostbaren und unermüdlichen Einsatz bedanken! Ihr habt bei Eurem Besuch dem ganzen Kids Care, dem Personal, den Kindern, Samjhana und mir so viel Wertvolles mitgegeben… Vielen herzlichen Dank!
Am Tag des Medical Camps lernte ich Loc kennen. Der 15 jährige kam zum Medical Camp, obwohl er nicht zu unserer Zielgruppe dazugehörte. Er war nicht aus unserem Projektdorf. Doch Loc liess sich an diesem Tag nicht beirren und liess sich untersuchen, was ich mit einem Lächeln begrüsste. Loc viel mir sofort ins Auge. Seine Behinderung, die mit grosser Wahrscheinlichkeit durch einen Vorfall bei der Geburt entstanden ist, machte es ihm schwer zu sprechen und ebenso zu gehen. Das Formen der Worte im Mund und die fehlende Kontrolle bei seinem Gang liessen ihn unbeholfen wirken. Ich beobachtete Loc an diesem Tag immer wieder. Mir viel auf, wie viel Spass er hatte, mit den jüngeren Kindern zu spielen. Er gab sich enorm Mühe, bei den Ballspielen draussen mitzuhalten. Nach diesem Tag ging mir der Junge nicht mehr aus meinem Kopf. Ich wollte was für ihn tun, doch was… Das Problem war, dass ich ihn nicht ins Kids Care einladen konnte als eines unserer Kinder. Das würde sich sofort rumsprechen und Eltern aus anderen Dörfern würden ebenso ihre Kinder ins Center bringen wollen, denn immer wieder werden wir von Eltern darauf angesprochen, dass sie ebenso gerne ihre Kinder ins Kids Care schicken möchten. Diese Möglichkeit musste ich mir somit aus dem Kopf schlagen.
Dann kam die rettende Idee… Loc mag es mit den kleineren Kindern zu spielen, weil dies ihm ermöglicht mitzuhalten. Was wenn wir den Jungen als freiwilligen Helfer im Kids Care engagieren? Begeistert von meiner Idee, fragte ich nach der Meinung des Teams. Alle waren einverstanden. Nun wollte ich nicht länger warten und besuchte Loc in seinem Zuhause. Sein Bruder brachte uns zu ihm. Loc sass auf dem Bett. Ich erfuhr, dass Loc nicht zur Schule geht und keine andere Tagesstruktur hat, ausser im Haus zu sitzen und auf den Abend zu warten. Ich fragte nach warum das so ist. Loc hat nur wenige Freunde. Ein um Jahre jüngerer Junge ist sein bester Freund. Doch die Jugendlichen in seinem Alter hänseln ihn. Somit geht er nicht zur Schule und unternimmt wenig.
Mit gewählten Worten begann ich von meiner Idee zu erzählen. Ich beobachtete die Gesichter der beiden, als ich bei dem Punkt ankam und Loc fragte, ob er als freiwilliger Mitarbeiter mit den jüngeren Kindern spielen möchte. Loc‘s Reaktion werde ich niemals vergessen! Das Strahlen in seinem Gesicht verriet mir die Antwort sofort, ohne dass ich nachfragen musste. Auch seinem Bruder war die Freude über diese Nachricht leicht anzusehen. Auch er lachte übers ganze Gesicht.
Gleich am nächsten Tag begann er mit seiner Aufgabe und hatte sichtlich Spass daran. Seine Aufgabe bestand darin, mit den Kindern zu spielen und die erfüllte er mit Bravour. Auch wenn Loc manchmal später oder für einige Tage gar nicht im Kids Care erschien, hat er nun die Möglichkeit einer sinnvollen Aufgabe nachgehen zu können, wann immer er möchte.
Als ich nach dem Gespräch mit Loc zum Kids Care zurückkehrte war ein Lächeln auf meinem Gesicht und ich wusste einmal mehr, warum ich diese Arbeit mache, warum ich diese Arbeit liebe. Es sind genau diese Momente, Momente in denen ich ein Lachen geschenkt bekomme. Ein Lachen dass mein Leben bereichert und das ich nicht mehr vergessen werde.
Drück Euch lieb aus Sri Lanka
Andrea