September 2021
Als die Schweiz von grossen Regenmengen überrascht wurde, hatten wir hier an vielen Orten Indiens sehr heiss und wir warteten auf den Regen, so dass die Reisfelder genügend Wasser hatten, um zu wachsen. Der Regen kam und ist nun auch hier unaufhaltsam. In unseren Projektdörfern in Indien wird der starke Regen, fast wie jedes Jahr zu einer Belastung. Zwar haben wir bereits einige Häuser bauen können, um die Familien in zerfallenen Lehmhäusern zu schützen, jedoch sind noch lange nicht alle Familien sicher. Aktuell ist es nicht möglich weiter an unserem Häuserprojekt zu arbeiten und weitere Häuser zu erstellen, da der Regen zu stark ist. Jedoch beobachten wir die Situation und wenn es für eine Familie zu gefährlich wird, werden wir das Haus, wenn möglich reparieren oder der Familie in unserem Kids Care Unterschlupf bieten, falls das Haus unbewohnbar ist. In beiden Fällen werden wir uns dann nach der Regenzeit dem Haus der Familie annehmen und ihnen als erste Priorität ein neues Zuhause bauen. Unseren Teams in Indien und Nepal geht es gut. Was für mich nach dieser sehr schwierigen Zeit erste Priorität hat. Das Thema Corona – Virus lässt nun wieder Platz für die Alltagsschwierigkeiten mit denen wir ansonsten tagtäglich gefordert sind. Immer mehr verzweifelte Eltern von schwerkranken Kindern melden sich bei uns, um für Begleitung während der Behandlung und finanzielle Unterstützung zu bitten. Vor allem Krankheiten wie Tuberkulose, Hydrozephalus (Wasserkopf), Zerebralparese durch Sauerstoffmangel bei der Geburt, Sichelzellen-Anämie, verschiedene Infektionen und Probleme mit den Organen sind hier vorzufinden. Jedes einzelne Kind und seine Eltern werden von unserem Team im Krankenhaus begleitet. Für die Behandlungen und Operationen gehen wir meist nach Berhampur, eine Kleinstadt in Odisha 214km/5 Stunden von unseren Dörfern entfernt oder nach Vishakhapatnam im Nachbarstaat Andhra Pradesh 275km/7 Stunden entfernt. Dies kommt etwa einer Reise durch die Schweiz gleich, von Schaffhausen nach Lugano, nur mit holprigen Strassen. Unsere Kids Care Teams in Indien unterrichten weiterhin in Kleingruppen und wir verteilen den Kids Care Kindern Nahrungsmittel für Zuhause. Die Schulen in Indien sind weiterhin geschlossen. In Nepal sind die Schulen nun wieder geöffnet und unsere Kinder sind froh, endlich wieder ins Kids Care kommen zu dürfen.
Thomas Kids Care (Nepal)
Meist bleibt es jedoch für mich nicht nur bei den alltäglichen Herausforderungen, sondern es zeigen sich weitere Notwendigkeiten, die meine Aufmerksamkeit benötigen. Ausserhalb von Indien und Nepal, und sehr ungeplant, wurde ich im traurigen Geschehen von Afghanistan miteinbezogen. Am 15.8. als die Taliban in Kabul einmarschierten, kontaktierte ich zwei Familien aus Kabul, die ich an einem Workshop für Gewaltfreie Kommunikation in Indien kennenlernte. Und ebenso eine weitere Familie, die mich vor ein paar Monaten kontaktierte, um einem kleinen Jungen zu helfen, der dringend eine Behandlung benötigte. Persönlich habe ich dann den Jungen unterstützt, da Hope is life sich nicht in Afghanistan engagiert. Bei den Familien habe ich mich erkundigt, wie es ihnen geht mit der Situation und dass sie sich per Facebook oder WhatsApp bei mir melden könnten, wenn sie jemanden zum reden bräuchten. Die Reaktion kam bei allen schnell, alle haben von grosser Angst erzählt und sich für das Angebot bedankt. In derselben Nacht, habe ich von Syed (Name geändert) einem jungen Vater einer dieser Familien eine Nachricht erhalten. Er hat mir geschrieben, dass die Taliban in den Nachbarhäusern eindringen und nach staatlichen Mitarbeitern (Militär, Polizei, Politiker…) und Aktivisten suchen. «Wenn sie mich und meine Familie finden, werden sie uns umbringen. Ich denke wir werden diese Nacht nicht überleben» schrieb er in einer Nachricht. Syed, seine Frau und seine beiden Kinder teilten die Wohnung mit seinem Bruder und seiner Familie. Der Bruder ist Polizist und Syed selbst, hat sich intensiv für die Bildung von Kindern engagiert, auch Mädchen. Er hat sich öffentlich gegen das Regime der Taliban ausgesprochen. Auch gehört die gesamte Familie einer ethnischen Minderheit an, die von den Taliban nicht akzeptiert werden. Seine Angst war gerechtfertigt. Bis zum Morgen haben wir uns per Nachricht unterhalten. Ich habe ihm Mut zugesprochen und wir haben gemeinsam nach Fluchtmöglichkeiten gesucht. Etwa um vier Uhr morgens wurde es ruhig in seinem Viertel und die Taliban haben sich zurückgezogen. Somit war die Familie nicht mehr in akuter Lebensgefahr. Ab diesem Moment begleitete ich Syed und seine Familie, sowie die Familie seines Bruders. In einer lebensbedrohlichen Situation, voller Angst, ist es sehr schwierig Entscheidungen zu treffen und ebenso daran zu glauben, dass es möglich ist zu überleben.
Mehrmals täglich, manchmal auch in der Nacht, haben wir getextet oder übers Telefon geredet. Immer wieder habe ich versucht die Familien psychisch zu stärken und ihnen zu helfen, Entscheidungen zu treffen. Ich habe von Syed Sprachnachrichten erhalten in welchen Schiessereien am Flughafen zu hören sind, als die Familie einen missglückten Versuch gemacht hat, durch einen Flug dem Horror zu entkommen. Mehrere Menschen wurden beim Eingang des Flughafens erdrückt. Vor allem für Kinder war es sehr gefährlich. Die Familie musste zurück in ihr Zuhause und musste da mitkriegen, wie den Nachbarn die Kinder weggenommen und entführt wurden. Syed und seine Familie versteckten sich nach diesem Erlebnis bei Familienmitgliedern in einem anderen Viertel. Tagelang versuchte die Familie im Morgengrauen mit einem Fahrzeug Richtung Pakistan zu flüchten, jedoch waren sie nie erfolgreich. Die Lage wurde kritisch, da Syed´s Frau durch die starke Angst, ihrem Baby keine Muttermilch mehr geben konnte. Auch Lebensmittelläden waren geschlossen, so konnte kein Milchersatz gekauft werden. Die Stadt mit dem Bus zu verlassen, wurde nach Tagen dann zur «sichersten» Möglichkeit. Die Reise war sehr anstrengend und die Familie wurde von den pakistanischen Zollbeamten vor der Grenze zurückgewiesen. Nach mehreren Versuchen schafften sie es über die Grenze. Jedoch war es einmal mehr eine sehr traumatische Erfahrung. Die Familie wurde über die Grenze gehetzt, dabei geschlagen und gedemütigt. Am 24. August kam die Familie in Pakistan an. Vier Erwachsene und fünf Kinder. Alle haben die gefährliche Reise und die Strapazen überlebt. Mir kullerten die Tränen die Wangen runter, als ich erfuhr, dass sie es geschafft haben, dass sie vorerst in Sicherheit sind. Leider ist die Familie noch lange nicht sicher, jedoch ist ihr Leben nicht mehr akut bedroht. Auch in Pakistan werden Syed und seine Familie durch ihre Zugehörigkeit der ethnischen Minderheit nicht akzeptiert. Und deshalb müssen wir einen Weg finden, dass Syed und seine Familie in ein anderes Land reisen können. Seit der Flucht über die Grenze jedoch, konnte sich die ganze Familie und auch die Familie des Bruders von Syed etwas erholen. Sie konnten neue Kraft tanken und auch die Mutter kann ihr Baby wieder stillen. Auch wenn es für Syed und seine Familie in Pakistan nicht einfach ist, haben wir herzensgute Einheimische gefunden, die sich um die Familie kümmern und versuchen ihnen zu helfen. Nach einigen Tagen, haben sich bei mir weitere Familien gemeldet die Unterstützung benötigten. Auch viele Familienangehörige von Syed sind weiterhin in Afghanistan und in grosser Gefahr. Alle Grenzen zu den Nachbarländern sind geschlossen und die Menschen sind in ihrem eigenen Land gefangen. Eine der Familien versteckt sich in einem kleinen Dorf und hoffen, dass die Taliban dieses Dorf nicht durchsuchen. Ansonsten würden sie mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht überleben. Alle Menschen die sich bei mir melden, gehören dieser ethnischen Minderheit an und sind deshalb in Gefahr. Ich hoffe von Herzen, dass es auch weitere Menschen über die Grenze schaffen und ebenso, dass sie Möglichkeiten finden, in ein weiteres Land zu reisen, wo sie Asyl beantragen können. Syed wird von uns finanziell unterstütz, jedoch nur durch Spender, die spezifisch Menschen in Afghanistan unterstützen möchten. Die anderen Spendengelder gehen weiterhin in unsere Projekte vor Ort. Wenn Du uns ebenso helfen möchtest, Menschen von Afghanistan finanziell zu unterstützen, dann sende Deine Spende auf unser reguläres Spendenkonto mit dem Vermerk «Afghanistan».
Herzlichen Dank an alle Menschen die unsere Arbeit immer und immer wieder unterstützen!
Liebe Grüsse aus Indien Andrea