März 2020
Ich sitze im Zug in Orissa in Indien und reise von unseren Projektdörfern im Bezirk Rayagada in die Stadt. Die Landschaft zieht an mir vorbei und ich erinnere mich an meine Anfangszeit hier in Indien für meine Arbeit für Hope is life. Damals waren Zugreisen etwas ganz Besonderes. Die Landschaften waren für mich exotisch, aussergewöhnlich und aufregend. Der Zug rappelvoll mit mich anstarrenden Menschen, die sich auf einer mir unbekannten Reise befinden. Die Händler, die sich laut rufend durchs Abteil fortbewegen, um ihre Ware an den Mann und die Frau zu bringen. Die Luft, ein Gemisch aus einer kühlen Briese, die durch das offene Fenster weht und dem Gestank, der sich seinen Weg von den Toiletten im Eingangsbereich zu den Passagiersitzen bahnt. Heute ist all dies für mich nicht mehr exotisch und aussergewöhnlich. Heute bedeutet all das für mich Heimat. In einigen Wochen bin ich nun schon seit sieben Jahren unterwegs für unsere Mission, uns für die einzusetzen, die keine Stimme haben. Uns für die stark zu machen, die nicht gehört werden. Diese Grundsätze unserer Mission erinnern mich an den kleinen Suman, den ich vor einem Jahr in unserem Projektgebiet, in den Armen seiner Mutter halb tot aufgefunden habe. Der Ausgang des mehrwöchigen Spitalaufenthaltes war erst ungewiss. Es war unklar, ob Suman, damals 15 Monate alt, überleben würde. Seine Mutter hat eine psychische Erkrankung und wurde ebenso in der Klinik behandelt.
Suman’s Vater lebt schon seit einiger Zeit in Kerala. Er kümmert sich nicht wirklich um seine Familie. Auch sendet er kein Geld für die Versorgung der vier Kinder, die er mit seiner Frau hat. Dies war der Grund, warum Suman ausgehungert und dem Tode nahe war. Die Mutter hatte kein Geld um all ihre Kinder zu versorgen. In ihrer Not gab sie den grösseren Essen und sich selbst und Suman fast nichts.
Es stellte sich heraus, dass Suman nicht nur dem Hungertod nahe war, sondern ebenso schwer krank. Erst wurde eine Tuberkulose diagnostiziert, danach wurde in seinem Blut HIV-Viren gefunden. Der Schrecken sass tief, als wir von der HIV-Diagnose hörten. Wir alle waren der Überzeugung, dass nicht nur Suman, sondern sicherlich die Mutter und ebenso die anderen Geschwister an HIV erkrankt sind. Die gesamte Familie wurde getestet und glücklicherweise war niemand positiv. Die Erleichterung war gross. Jedoch blieb die Frage offen, wie sich der kleine Suman am Virus infizieren konnte. Der Verdacht steht offen, jedoch ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass nach seiner Geburt der Virus durch eine infizierte Bluttransfusion in seine Blutbahn gelangen konnte oder durch eine schmutzige Spritze, als er geimpft wurde. Jedoch ist dieser Verdacht schwer zu beweisen, auch wenn es ansonsten keine weitere Erklärung für den Virus in seinem Blut gibt.
Die Tage vergingen. Erst konnte Suman keine Nahrung bei sich behalten. Er hatte starke Bauchschmerzen und verlor noch mehr an Gewicht. Doch nach einiger Zeit erholte sich der Kleine und die Behandlung schlug an. Sein Magen gewöhnte sich an Nahrung und somit nahm er an Gewicht zu. Dadurch, dass der Körper stärker war, konnten die Ärzte auch mit der Behandlung der Tuberkulose beginnen. Suman reagierte sehr gut auf die Behandlung, die somit auch fortgeführt werden konnte. Nach einem viermonatigen Klinikaufenthalt durfte unser Team mit Suman und seiner Mutter wieder in ihre bekannte Umgebung, in ihr Dorf zurückreisen. Suman war körperlich bei Kräften und seine Mutter psychisch stabiler. Nun musste jedoch vorgesorgt werden, dass dies auch so bleibt. Deshalb kümmert sich unser Hope is life Team vor Ort nun täglich um die Beiden und auch um die weiteren Geschwister von Suman. Die Familie wurde in unserem Theler Kids Care eingebunden, wo alle ein Abendessen erhalten. Eine unserer Mitarbeiterinnen, die gleich neben Sumans Familie lebt, ist für die weitere Betreuung der Familie verantwortlich. Zuverlässige Kinderbetreuung, Medikamentenabgabe, Körperpflege, sowie Frühstück und Abendessen kochen, all diese Aufgaben übernehmen wir für die Familie. Die Mutter ist durch ihre psychische Erkrankung nicht imstande, all diese Aufgaben zuverlässig zu übernehmen. Um Suman mit HIV-Medikamenten einzustellen und diese auch monatlich kostenlos zu erhalten, müssen wir monatlich mit Suman und seiner Mutter ins nächstgrössere staatliche Spital nach Koraput. Dieses ist ungefähr 120 km von unseren Projektdörfern entfernt. Die HIV-Medikamente sind mittlerweile gut eingestellt und wenn der Kleine Glück hat, sind die HIV-Viren nach einiger Zeit nicht mehr im Blut nachzuweisen. Dies war die Aussage der Ärzte, die den Kleinen über Wochen betreut haben. Als ich nun Suman im Dorf angetroffen habe, war er gut gelaunt, körperlich gestärkt und wirkte gesund. Er ist sehr schüchtern zu Unbekannten und zeigt dies auf eine sehr “härzige” Weise. Seine Augen schauen dann auf eine etwas seltsame Weise auf den Boden und wenn möglich, drückt er sein Gesicht gegen seine Mama.
Wir alle sind von Herzen dankbar, dass es unserem kleinen Suman so gut geht. Es ist ein Geschenk, dass der Kleine überlebte. Wir werden weiterhin gut auf ihn und seine Familie achtgeben. Auch haben wir mittlerweile einen Götti finden können, der die monatlichen Kosten für die Betreuung von Suman und seiner Familie übernimmt.
Suman ist nun wieder bei Kräften – vor einem Jahr halb verhungert
Nicht nur Suman hat uns in den Projektdörfern in Indien Freude bereitet. Auch durften wir das gesamte Hope is life Team von Nepal für einen langersehnten viertägigen Besuch in Empfang nehmen. Die Mitarbeiter, sowie ich selbst, haben lange auf den Tag gewartet, an welchem sich Hope is life Nepal und Hope is life India vereinen. In den vier Tagen haben wir die zwei Kids Care House of Hope und Theler Kids Care mit kreativen Malereien kunstvoll gestaltet. Ebenso hat sich das Hope is life Nepal Team alle Projekte von Hope is life India angeschaut. Alle zusammen feierten wir die Eröffnung vom Theler Kids Care im Dorf Tadingipai. Das Theler Kids Care öffnete seine Tore am 11.11.19 für 65 Kinder. Doch bis anhin konnten wir das Ereignis noch nicht feiern und haben dann die Möglichkeit genutzt, um mit dem Team aus Nepal zu feiern.
Die Teams von Nepal und Indien vereint
Der gemeinsame Austausch über unsere Arbeit, Visionen und Ziele war bereichernd und inspirierend.
Für mich waren es sehr berührende Tage. Die beiden Teams zusammen zu sehen und zu erleben, wie wir auf gemeinsame Ziele hinarbeiten, erfüllte mich mit Glück und Stolz. Ich bin enorm stolz mit zwei solch motivierten Teams zusammenarbeiten zu dürfen. Alle unsere Mitarbeiter widmen ihr tägliches Leben den Mitmenschen, die es schwer haben. Den Menschen die sich selbst nicht zur Wehr setzen können, die im Kampf ums tägliche Überleben Unterstützung benötigen.
Ich bin enorm dankbar, zwei so tolle Teams vor Ort zu haben.
Alles Liebe aus Indien
Andrea