Februar 2024

Heute sitze ich nicht in einem Dorf umgeben von grüner Natur, so wie ich es mag, sondern in einem Café in Bhubaneswar, der Hauptstadt von Orissa. Für mich sind Städte in Indien immer herausfordernder. Die Luftverschmutzung ist meist so stark, dass mir mit den Tagen die Lunge brennt. Ich versuche aus diesem Grund meine Aufenthalte in den Städten so kurz wie möglich zu planen. Manchmal ist es jedoch notwendig. Denn gute Krankenhäuser befinden sich oft in den Grossstädten. Da jedoch auch hier die Korruption weit verbreitet ist, wenden wir uns an gute Ärzte die wir kennen, die unsere Patienten auch kompetent behandeln, ohne Bestechungsgeld zu verlangen.

In manchen Situationen jedoch kommen meine Mitarbeitenden ans Limit. Speziell bei aussergewöhnlichen, oft schweren Erkrankungen, welche auch die Ärzte und Ärztinnen herausfordert. Da geschieht es oft, dass nach mehreren Untersuchungen einfach aufgegeben und die erkrankte Person wieder nach Hause geschickt wird. Da komme ich ins Spiel. Ich bin bekannt für meine Hartnäckigkeit (-: wenn es darum geht, ein Ziel zu erreichen. Dann setze ich mich mit den Verantwortlichen in den Spitälern zusammen und schaue, was das Beste für den Patienten oder die Patientin ist. Oft habe ich mich auch schon dagegen gewehrt, die betroffene Person wieder zurück ins Dorf zu nehmen, wenn die Diagnose noch unklar war oder die Behandlung noch nicht abgeschlossen. Meist erreiche ich, dass wir mehr Klarheit über die Erkrankung und somit eine intensivere und bessere Behandlung für den erkrankten Menschen erhalten können.

Warum es für meine Mitarbeitenden schwieriger ist dies zu erreichen, hat verschiedene Gründe. Auch wenn bei uns Mitarbeitende mit medizinischem Wissen tätig sind, fällt es ihnen oft schwer, bei seltenen Erkrankungen an mehr Wissen über die Erkrankung zu kommen. Durch das Leben im Dorf haben sie einfach nicht das landesweite und weltweite soziale Netzwerk, welches ich mir mit den Jahren bei meiner Arbeit in Indien und Nepal aufbauen konnte. Durch dieses Netzwerk komme ich an kompetente Informationen, die uns oft weiterhelfen. Ein weiterer Grund ist das Kastensystem und die Hierarchie die in Indien das soziale Leben prägen. Das Kastensystem teilt Menschen in verschiedene Gruppen ein, die aufgrund dessen mit mehr oder auch weniger Respekt behandelt werden (das ist eine sehr simple Erklärung, welche dem Ursprung des Kastensystems nicht gerecht wird, jedoch die heutige Problematik durch das System beschreibt. Wer mehr darüber wissen möchte, einfach googeln). Viele Menschen in unseren Dörfern und auch unsere Mitarbeitenden gehören einer niederen Kaste an, welche mit wenig Respekt behandelt wird. Diese Diskriminierung macht es für die Mitarbeitenden schwer, sich gegen Menschen in höheren Kasten durchzusetzen. Auch wenn das Kastensystem in Indien, vor allem in den Städten an Bedeutung verliert, ist es leider immer noch sehr verbreitet.

Dann ist da noch die Hierarchie die hier ebenso stark ins Gewicht fällt. Mit Hierarchie meine ich zum Beispiel das Ansehen der Ärzte und Ärztinnen. Es ist nicht üblich, dass die Menschen die Meinung des Arztes oder der Ärztin hinterfragen. Teils wird es auch als respektslos angesehen. Meine Mitarbeitenden sind mit dieser Haltung aufgewachsen und trauen sich teils nicht, noch genauer nachzufragen. Oder sie erhalten keine weitere Auskunft, auch wenn sie sich dies wünschen. Als Ausländerin, welche nicht in diesem System aufgewachsen ist, habe ich da mehr Spielraum. Fragen werden von mir eher akzeptiert und beantwortet, wenn auch nicht immer. Wenn ich die Fragen dann nicht beantwortet bekomme, kommt erneut meine Hartnäckigkeit ins Spiel und ich bleibe dran bis ich die Informationen, welche ich möchte, erhalte. Mittlerweile haben wir jedoch ein Netzwerk mit Gesundheitspersonal in Krankenhäusern, die auch unsere Mitarbeitenden mit Respekt und auf gleicher Augenhöhe behandeln, so dass die Zusammenarbeit meist gut funktioniert. Aus diesem Grund sind meine Spezialeinsätze immer weniger notwendig.

Mutter von Rameswar, mit einem kleinen Freund aus der Klinik und Rameswar

Warum ich nun in diesen Tagen einen Patienten im Krankenhaus unterstütze, hat weniger mit dem behandelnden Arzt zu tun, als damit, dass der Patient selbst mit seiner Situation überfordert ist. Die verantwortlichen Personen im Team haben sehr viel Geduld und Zeit investiert, um dem Patienten immer und immer wieder die nötige Empathie zu geben. Nun bin ich hier um das Team etwas zu entlasten, dem Patienten und seiner Mutter emotionale Unterstützung zu geben und den Untersuch zu koordinieren. Den Patienten habe ich im letzten Weihnachtsbrief erwähnt, unseren Rameswar, der wie ein Löwe dafür gekämpft hat, um wieder gehen zu können. Da die Tuberkulose, trotz Behandlung in seiner Wirbelsäule, weiterhin Entzündungen hervorruft und somit auch Schmerzen, ist dies ein Rückschlag für ihn. Und natürlich frustriert ihn dies sehr. Nach fünf Monaten in der Rehabilitationsklinik kann er nun ohne Gehhilfe gehen. Jedoch muss er für weitere Monate in der Klinik bleiben, um wieder ganz gesund zu werden und ebenso weite Strecken gehen zu können.

 

Auch wenn ich mich in diesen Tagen in der Stadt aufhalte, reisen meine Gedanken immer wieder in die Dörfer. Im täglichen Austausch über Telefon und Whats-App mit den Teams in Indien und Nepal, koordiniere ich die Arbeit und unterstütze das Team bei speziellen Herausforderungen. Auch nutze ich die Möglichkeiten, wenn ich in Bhubaneswar bin, eines unserer Patenkinder, welche nun eine junge Frau ist, zu besuchen, um zu schauen wie es ihr geht. Ihr Name ist Tejaswini und auch über sie berichtete ich einst in einem Weihnachtsbrief. Tejaswini hat eine schwere Erkrankung, die ihr Leben jeder Zeit beenden kann, was ihrem älteren Bruder bereits erfahren ist. Dies hält Tejaswini jedoch nicht davon ab, ein Studium als Radiologin zu machen. Das Studium geht gut voran und sie freut sich jedes Mal sehr, wenn ich Zeit habe und sie in der Universität, in welcher sie studiert, besuche. Dann gehen wir Kleider einkaufen falls notwendig und in ein schönes Café.

 

Einen Ausflug ins Café mit Tejaswini

Auch wenn unsere Projekte wachsen und die tägliche Arbeit vor Ort von unseren lokalen Mitarbeitenden übernommen wird, ist mir der Kontakt zu den einzelnen Personen die wir unterstützen weiterhin sehr wichtig. Vor allem zu Menschen die wir über mehrere Jahre unterstützen ist mir der persönliche Kontakt sehr wichtig. Auf diese Weise kann ich vorleben, wie ich mir wünsche, dass wir mit den Menschen umgehen, mit denen wir zusammenarbeiten. Vor allem von der jüngeren Generation werde ich teils persönlich kontaktiert, wenn sie in Schwierigkeiten sind und Unterstützung oder einen Rat benötigen. In unseren Dörfern müssen viele Menschen ums Überleben kämpfen, da haben sie gelernt, Gefühle nicht hochkommen zu lassen und nicht auszudrücken. Durch unsere Präsenz jedoch, die Gewaltfreie Kommunikation durch diese wir die Kinder und Jugendlichen in unseren Kids Cares motivieren über Gefühle zu sprechen, fällt es ihnen leichter diese auszudrücken. Jedoch fällt es ihnen teils schwierig, dies in ihrer Familie oder im Dorf zu tun. Sie haben Angst ausgelacht oder nicht ernstgenommen zu werden. Da kommen die Mitarbeitenden ins Spiel. Uns vertrauen sie und sie wissen, dass sie ernst genommen werden und wir gemeinsam nach Lösungen suchen können.

Natürlich gibt es auch hier Familien, in denen sich die Kinder und Jugendlichen emotional sicher fühlen und unsere Unterstützung in diesem Bereich nicht benötigen. Unser Ziel ist es, dass immer mehr Familien in unseren Projektdörfern auch ein emotional sicheres Zuhause bieten können. Daran arbeiten wir täglich.

 

Alles Liebe

Andrea