Hallo Zusammen
Im letzten Newsletter ging es ums verabschieden. Drei Menschen sind gestorben, die mir sehr am Herzen lagen. Leider ist das kein Einzelfall. Immer und immer wieder müssen wir uns dem stellen, dass das Leben hier zerbrechlicher ist und wir Menschen Lebewohl sagen müssen. Oft erwähn ich es nicht in den Newslettern, weil ich mich auf die Dinge konzentrieren möchte, die Hoffnung vermitteln. Doch zu Ehren von Sanjaya, möchte ich auch dieses Mal über einen Jungen berichten, der uns verlassen hat. Seine Situation hat zwar Mutlosigkeit und Unverständnis hervorgerufen, jedoch den Kampfgeist in mir geweckt, mich weiterhin für Kinder oder Jugendliche einzusetzen und bis zum Letzten für sie zu kämpfen. Und dieser Kampfgeist hat einem weiteren Jungen das Leben gerettet.
Kunal der Junge im Rollstuhl (Name geändert)
Vor zwei Jahren wurden wir in ein Dorf nahe unserer Projektdörfer in Indien gerufen. In einer kleinen dunklen Hütte lag ein Junge. Er war 15 Jahre alt. Die Mutter berichtete uns über den schrecklichen Unfall ihres Sohnes Kunal. Seit dem Unfall ist er von der Hüfte abwärts gelähmt. Die Eltern waren kooperativ, so dass wir Kunal kurzerhand in ein Krankenhaus in Vishakhapatnam bringen konnten. Nach einer 7-stündigen Fahrt, wurde der Junge gleich untersucht. Einige Tage später wussten wir, dass der Junge operiert werden musste, er seine Gehfähigkeit jedoch mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht wieder erlangen werde. Und so kam es auch. Kunal wurde operiert und die niederschmetternde Diagnose lautete, dass Kunal nicht wieder laufen kann. Für uns war klar, dass wir nun unsere Unterstützung verstärken werden und dem Jugendlichen alles bieten, dass er in Zukunft ein selbständiges Leben führen kann. Der Plan war erst Rehabilitationsklinik für Physiotherapie und Rollstuhltraining und dann Unterstützung für eine Ausbildung für finanzielle Unabhängigkeit.
Dieser Plan ging jedoch nicht auf. Kunal´s Vater wollte unsere Unterstützung nicht annehmen und somit verweigerte auch Kunal jegliche Hilfe von uns. Er war unter enormem Druck von Seite seines Vaters. Der Vater erwähnte immer wieder, dass er Kunal umbringen werde, da er nichts mehr tauge. Bei meinem letzten Besuch vor einigen Monaten hatte Kunal eine grosse Wunde am Gesäss vom Liegen, da er sich kaum bewegte. Mit meinem Team versuchte ich erneut den Vater davon zu überzeugen, dass wir Kunal helfen dürfen. Die Reaktion des Vaters waren Drohungen und Beschimpfungen. Für meine Mitarbeiter und deren Familie wurde die Situation so gefährlich, dass wir aufgeben mussten.
Somit gingen wir zur Polizei und ebenso zu der Jugendfürsorge und berichteten über die Situation. Die Aussage der Behörden war: «Eltern können tun und lassen mit ihren Kindern, was immer sie wollen, da können wir nicht eingreifen». Ich versuchte weitere Behörden einzuschalten, jedoch hatten diese auch kein Gehör. Ich selbst durfte Kunal´s Vater nicht mehr besuchen, da ich mein Team gefährdete. Somit sendete ich Mitarbeiter einer anderen Hilfsorganisation mit der Hoffnung, dass diese erfolgreich sein werden. Jedoch hatten auch sie keine Möglichkeit Kunal zu helfen.
Vor zwei Monaten verstarb Kunal. Wir haben keine näheren Angaben erhalten, jedoch ist es naheliegend, dass er durch eine Blutvergiftung aufgrund von Wunden die aus Druckstellen entstanden, verstarb. Diese Situation schockte uns alle und wir trauern um den aufgestellten, fröhlichen Jungen im Rollstuhl.
Dasha braucht ein Zuhause
Der 12-jährige Dasha leidet seit seiner Geburt an zerebraler Kinderlähmung. Für fast jede Handlung ist er auf Unterstützung angewiesen. Er lachte und gibt Laute von sich, wenn er etwas nicht möchte, bewegt sich auf der Stelle am Boden und liebt es zu beobachten, was um ihn herum geschieht.
Er kann nicht sprechen, nicht selbständig Essen und auch nicht gehen.
Vor zwei Jahren verlor Dasha seine Mutter. Es ging eine Weile, bis wir vom Schicksal des Jungen hörten. Der Vater war überfordert mit der Betreuung des Jungen. Er arbeitet als Taglöhner und auf dem Feld. Am Abend trank er oft viel Alkohol. Wir begannen Dasha mit dem Nötigsten zu unterstützen. Auch Essen brachten wir vorbei. Eine Tante schaute zu dem Kind. Doch dann verliess die Tante das Dorf. Da war klar, dass Dasha ein neues Zuhause brauchte. Bei seinem Vater wird er nicht lange Zeit überleben. Wir suchten nach einem Heim, das bereit war, Dasha bei sich aufzunehmen. Wir hatten auch schon bereits eine Zusage, reisten zehn Stunden dahin und als sie Dasha dann sahen, verweigerten sie die Aufnahme. Wir gingen zur Kinderbehörde, welche uns beteuerte, dass sie halt auch nicht wissen, wo wir ein solch schwer krankes Kind unterbringen könnten. Mehrmals klopften wir bei den Behörden an, um Unterstützung zu erhalten, jedoch vergebens. Wir suchten Betreuungspersonal welches bereit ist, Dasha zu pflegen. Wir suchten nach verschiedenen Strategien, jedoch scheiterten wir immer und immer wieder. Fast zum selben Zeitpunkt, als Kunal verstarb, besuchte ich ein Mädchenheim. Schon beim ersten Besuch war ich sehr beeindruckt von der liebevollen und professionellen Betreuung welche die Kinder in diesem Mädchenheim geniessen. Ich hatte gleich einen sehr guten Draht zur Leitung des Heimes. Wir verstanden uns sofort prächtig. Sie erzählte welche Schwierigkeiten sie in Bezug auf das Heims belasten und ich erzählte von Kunal und Dasha. Wir versicherten uns gegenseitig uns bei der Lösung der Probleme zu unterstützen. Durch meine langjährige Arbeit in Indien konnte ich ihr bei ihren Administrativen Problemen weiterhelfen. Sie wollte Kunal einen erneuten Besuch abstatten und für Dasha ein Heim finden. Wir wussten nicht, das Kunal bereits verstorben war und für Dasha war auch weiterhin kein Heim zu finden. Kurzerhand hat sich die Heimleitung entschieden, Dasha bei sich im Mädchenheim aufzunehmen.
Dasha in seinem neuen Zuhause
Gesagt, getan. Einige Tage später waren wir mit dem immerzu lachenden Dasha unterwegs ins Mädchenheim. Im Kinderheim angekommen, konnte ich im Gesicht seines Vaters die Erleichterung sehen. Ich selbst musste immer und immer wieder eine Träne verdrücken. Nach so vielen Monaten vergeblichem Suchen, hatte Dasha nun endlich ein Zuhause.
Dasha erhält Physiotherapie
Ein Freund von mir stellte uns für Dasha kostenlose Physiotherapie zur Verfügung und Dasha macht nun grosse Fortschritte. Es ist eine wahre Freude ihm bei seiner Entwicklung zuzusehen. Ich bin enorm dankbar, hat sich die Situation bei Dasha zum Guten gewendet.
Alles Liebe
Andrea